Salvador de Bahia (Favelas)

Favela ist eigentlich eine nutzlose (brasilianische) Pflanze. In irgendeinem Polizeibericht wurde dann so ein Wohngebiet mit der Pflanze verglichen und damit hatten diese Wohngebiete die Bezeichnung Favela.
Die Alternativbegriffe Elendsviertel/Armutsviertel oder Slum treffen nicht so ganz zu.Oftmals werden die Favelas als illegale Wohnsiedlungen gebrandmarkt.
In Brasilien existiert jedoch ein Gesetz, nachdem man sich an jedem beliebigen öffentlichen Ort niederlassen kann.

Sofern man dort dann 5 Jahre gelebt hat, sich keiner gefunden hat, der einen berechtigten Anspruch auf den Grund hat, hat man Anspruch auf diesen Grund.
Man könnte dann den bewohnten Grund vermessen und sich als Grundbesitzer für diesen eintragen lassen.
Die einzelnen Grundstücke in den Favelas könnte man heute vielleicht noch mit Satellitentechnik vermessen, aber aus Kostengründen – Vermessung, Notar, … – macht das keiner.

So lange man auf dem Grundstück siedelt, kann sich ja auch kein anderer dort niederlassen.In den Favelas leben auch Personen(gruppen), die man bei uns dem Mittelstand zuordnen würde, zum Beispiel Beamte und Lehrer.
Insbesondere an den größeren Straßen, die durch die Favela führen, haben (zumeist) Familien/Privatpersonen Geschäfte, bei denen täglich die Favela(mit)Bewohner einkaufen.
Diese Geschäftsbesitzer sind entsprechend finanziell besser ausgestattet.

Schließlich sieht man den einzelnen Gebäuden an, wie viel Geld den Einwohnern zur Verfügung steht:
Qualität der Ziegel, Gebäude verputzt, Asbest- oder Blechdach vs. Ziegeldach …

Strom – es dort üblich, dass der Strom illegal gezapft wird- insbesondere für die privaten technischen Großverbraucher:
So aller zwei Jahre kommt eine Kontrolle – dann bekommt der «Zapfer» eine Geldstrafe, die etwa dem Verbrauch von 2-3 Monaten entspricht. Die illegale Leitung wird abgeklemmt. So etwa zwei bis drei Wochen später, kommt dann privat ein Elektriker – nicht unbedingt ein anderer als der, der vorher die illegale Leitung abgeklemmt hat – und schließt die illegale Leitung wieder an. Das Spiel beginnt von vorne.
Das «Problem» ist in Salvador wohl bekannt. Es ist aber so, dass man sich sonst darüber Gedanken machen müsste, wie man für die Armen die Strompreise subventioniert.

Wasser – jeder hat (normaler Weise) Zugang zu Wasser in Salvador. Bezahlt wird dieses in den Favelas im Allgemeinen auch nicht. Damit der Wasserverbrauch nicht ausufert, wird tagsüber die Wasserzuleitung gedrosselt. Es tropft dann eben mehr oder weniger. Nachts steht dann das Wasser normal zur Verfügung. Das hat zur Folge, dass bei den Familien, die sich schon eine Waschmaschine gegönnt hat, dann nachts auch die Verwandtschaft zum Wäschewaschen kommt.

Nur ganz wenige Straßen führen durch die Favela. So schmale steile Treppen sind daher typisch für die Favela.
So richtig problematisch wird dieses in Notsituationen – Feuer oder auch, wenn jemand zum Beispiel einen Herzinfarkt hat. Der muss dann erstmal die Treppen hoch/runter gebracht werden.
Damit das funktioniert, hilft man sich gegenseitig wo immer man kann.
So wie Markus sagt, ist diese gegenseitige Hilfe auch ein wesentlicher Aspekt, aus dem Favela nicht wegzuziehen.
Wenn er ausziehen würde, würde sofort jemand aus der Verwandtschaft dort einziehen. Egal was geschehen würde – ein zurück würde es nach dem Auszug nicht mehr geben.Gesundheitswesen – schwanger darf man sein oder eine gefährliche ansteckende, quarantänepflichtige Krankheit haben, dann wird man in den normalen Krankenhäusern wie ein kleiner König behandelt. Alle anderen Krankheiten sollte man besser meiden. ;)Schule – irgendwo hatte man schon festgestellt, dass in Brasilien jedes Kind die Möglichkeit hat, die Schule zu besuchen.
Das Problem ist, dass viele (einfache) Schulen von den Favelas entfernt sind. Das monatliche Einkommen vieler Familien erlaubt es oft nur, den Transport für ein, ggf. noch für zwei Kinder zu bezahlen. In manchen Favelas legen dann Familien das Geld zusammen, dass ein Lehrer in den Favelas privat unterrichtet.Diverse Favelas werden von Banden beherrscht. Hier geht es natürlich insbesondere um Drogen.
Für die Drogen-Clans sind aber nur die wohlhabenderen Favelas von Interesse. Da sie in den armen Favelas mit ihren Drogen keine Geld machen können.In den Favelas fällt es natürlich auf, wenn dort Fremde reinkommen. Im Allgemeinen schaut man schon gründlich was die Fremden dort wollen.
So wie Markus erzählte, wenn er seinen Schwiegervater, der in einem anderen Favela lebt, besucht, dann meldet er sich sicherheitshalber vorher an, damit er mit dem dort herrschenden Clan keine Probleme bekommt, falls jemand aufpasst, der ihn noch nicht kennt.Weiter sagte Markus, wenn man irgendwelche Interna von den Clans ausplaudert, kann man davon ausgehen, maximal noch 3 Tage zu leben.Im Allgemeinen soll sich die Polizei um diese Clans und die betreffenden Favelas nicht kümmern. Aktiv werden die Sicherheitsorgane erst, wenn so ein Clan internationale Bedeutung erhält, oder wenn es um Großereignisse wie um die WM ging/geht. Dann kümmern sie sich auch mal drum.

Für Deutschland wären solche krassen Gegensätze von Oberschicht-Siedlung und Favela kaum vorstellbar. In Deutschland wird man auf Distanz setzen.
In Brasilien lebt man bewusst, ohne Neid mit diesem Gegensatz.
Oft ist es so, dass diese Favela-Bewohner Bedienstete der benachbarten Oberschicht sind: Hausmeister, Babysitter, …
Wenn dann aus dem Favela jemand auf der Suche nach einem Job für sein erwachsenes Kind ist, dann fragt man dort nach, ob sich nicht noch etwas jobmäßiges findet.Vielen Dank an Markus Priller (mark.priller(et)gmail.com) für die beiden sehr interessanten Stadtführungen. Wenn wir wieder einmal nach Salvador kommen, werden wir uns gerne wieder uns von Markus seine neue Heimat zeigen lassen. Wir können Markus als Guide mit sehr gutem Gewissen weiterempfehlen.